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Schwerter aus Schaumstoff
Am Oppenheimer Strandbad trainieren Kämpfer den "Ernstfall"
 

15.04.2006, von Christian Albers

OPPENHEIM   Adrenalin liegt in der Luft, als sich die Heerhaufen belauern. Kettenhemden und Brustpanzer klirren. Auf einen Schlachtruf hin bricht ein Inferno los, ein Stoßtrupp stürmt hinter einem der Haufen hervor und rollt die Gegner von der Seite auf. Pfeile schwirren, Schwerthiebe scheppern auf Rüstungen - bald steht kein Kämpfer der überraschten Truppe mehr.

Plötzlich rappeln sich die Unterlegenen wieder auf - völlig unversehrt! Denn eigentlich tobt hier keine echte Schlacht, sondern es ist nur eine Militärübung mit Holzwaffen. "Wir brauchen jeden Arm, der ein Schwert halten kann", verkündet Prokurator Deifontes de Bosque, der das Wappen des Reiches Magonien trägt. "Es zieht Krieg herauf", ruft er mit düsterer Stimme."Deshalb müssen wir unsere Kampfkünste trainieren, um der finsteren Bedrohung standhalten zu können".

Würdevoll zeigt sich sein Mitprokurator Emerald di Lorenzo in prächtiger Plattenrüstung, "hoch erfreut, dass sich auch Helden von weit her gefunden haben, um uns in dieser verzweifelten Lage zur Seite zu stehen".

Doch zum Glück ist diese Militärübung in Wirklichkeit nur ein Spiel, der heraufziehende Krieg Fiktion, die Holzwaffen sind aus Schaumstoff. In Wirklichkeit tummeln sich auf der Wiese am Oppenheimer Strandbad "nur" rund 25 verkleidete Leute, die so tun, als würden sie zur Übung Kampfszenarien durchspielen. Es sind Live-Rollenspieler vom "Magonien"-Verein, die hier bei strahlendem Wetter ihrem Hobby frönen. Aus Heidelberg, Mainz, Karlsruhe, ja sogar aus Wuppertal sind sie herangepilgert. Diesmal tauchen sie in relativ kleinem Kreis ab in eine Welt, die sie sich selbst ausgedacht haben - ein zunehmend beliebter Freizeit-Spaß, der nebenbei zum harten Sport wird: So eine Rüstung kann über 20 Kilogramm wiegen.

In der nächsten Runde prallen drei "Armeen" aufeinander - und es gilt, möglichst viele Punkte für niedergestreckte Gegner zu sammeln. Vom Rand aus verfolgt Pater Pius Senus das Getümmel, notiert Punkte und beobachtet - um hinterher zu bewerten, welches Team sich am besten geschlagen hat. "Gruppe drei hat gewonnen, aber Gruppe eins war am besten koordiniert", bilanziert er. "Und Ihr, Herr de Bosque, solltet an Euren Führungsqualitäten arbeiten."

Als sich in der Pause die müden Krieger ihre fiktiven blauen Flecken reiben, brodeln die Gerüchte über das heraufziehende Übel, gegen das man sich rüstet. Nach einigem Herumdrucksen rückt Prokurator de Bosque damit heraus: "Es heißt, es kehre ein finsterer Magier zurück, der eigentlich schon besiegt und verbannt wurde." Kurzes Schweigen. "Das Übliche also", brummt ein Kämpfer von außerhalb lässig - denn derlei Szenarien sind für Fantasy-Rollenspiele nicht ungewöhnlich.


Mit gepolsterten Waffen gingen die Live-
Rollenspieler am Strandbad aufeinander los.


Schön gepolstert müssen die Pfeilspitzen
sein, um niemanden wirklich zu verletzen.

Fotos: hbz/Kristina Schäfer

Organisiert hat diese Militärübung Clemens Putz (20) alias Pater Pius. 19 Jahre lang hat er in Oppenheim gelebt, zog zwecks Ausbildung nach Heidelberg, lernte dort die "Magonier" kennen - und nutzte jetzt seine Kontakte, um das Manöver möglich zu machen. "Sinn der Übung ist, dass wir in unseren Rollen mit Waffen umgehen können." Denn auch, wer für sich bereits mit dem Schwert hantieren könne, müsse als Spieler umdenken, sich in sein Team einfügen.

Knallhart geht es weiter - beim Turnier Mann gegen Mann, in dem die besten Kämpfer ermittelt werden. In der Pause tuckert ein schwerer Lastkahn auf dem Rhein vorbei - und wird spontan ins Spiel einbezogen: "Dieses Segelschiff wird bereitgestellt, um Frauen und Kinder in Sicherheit zu bringen, falls das Blatt sich zum Schlechten wendet", erklärt ein Soldat. "Wer's glaubt", tuschelt Pater Pius dazwischen: "Letztendlich machen sich damit nur die großen Herren aus dem Staub, um ihre Haut zu retten." Empörung. "Sie würden uns doch niemals im Stich lassen", wirft ein anderer ein. Der Pater lacht verächtlich: "Das tun die Obersten doch immer, Ihr Narr."

Später, als der Mond durch die mit Misteln bewachsenen Bäume lugt, kehrt Ruhe ein: Leises Gemurmel geht von den Gruppen aus, die sich um Lagerfeuer, Fackeln und Wasserpfeife drängen. Die Trommel tönt, alle sprechen dem Met zu und sind in ernste Gespräche zwischen ihren fiktiven Charakteren vertieft - die sich aus vorangegangenen Spielen zum Teil schon lange "kennen". Ein Priester und ein Magier diskutieren heftig über die Verantwortung aller Zauberkundigen: "Man sieht ja, was dabei herauskommt", wettert der Geistliche: "Hättet ihr Magier nicht dieses Pergament einfach laut vorgelesen, hätten wir jetzt nicht den Magier am Hals." Als die Fledermäuse zwischen den Baumwipfeln umherzuschwirren beginnen, schnellt einer der Helden wie paranoid auf: "Er lässt uns schon beobachten, seht!"

Zwei Welten prallen hier aufeinander - denn fast zeitgleich findet eine echte Militärübung statt: Etwa 20 Bundeswehr-Reservisten und gut 30 US-Soldaten, die hier einen 30-Kilometer-Leistungsmarsch trainieren, blicken zunächst verdutzt drein. Doch andere Welt hin oder her: Von Soldat zu Soldat kommt man ins Gespräch, tauscht sogar Proviant aus. "Tolle Sache", findet Reservisten-Kreisvorsteher Michael Rodschinka: "Das kann für den Teamgeist nur gut sein." Aber das Wichtigste, und das drohe leider vielen verloren zu gehen: "Diese Leute hier haben wirklich noch Fantasie."